grünes blatt 2-97 - Am 5. März rollte der dritte Castortransport nach Gorleben:
Castor eingelagert - Demokratie ausgelagert!
Als der Polizeistaat in der ersten Märzwoche wieder einmal seine Gewalt
demonstrierte, waren über 15.000 Menschen auf der Straße. Etwa 9.000 von
ihnen versuchten, den Castortransport durch eine große gewaltfreie
Sitzblockade am Dannenberger Verladekran aufzuhalten. Schon die Tage zuvor
hatten sie sich auf die Straße begeben, die der Castor passieren mußte. Um
ein Uhr am Mittwochmorgen begann der Bundesgrenzschutz (BGS), die Straße zu
räumen. Zunächst gingen die Beamten beinahe noch freundlich mit den
Demonstrierenden um; sie trugen sie in den ersten Stunden von der Straße.
Doch gegen halb fünf Uhr morgens fuhr der BGS plötzlich Wasserwerfer gegen
die Menschen auf, die da singend auf der Straße saßen. Zuvor hatte der
Einsatzleiter noch erklärt, Wasserwerfer und Knüppel würden nur eingesetzt,
wenn es zu aktiver Gewalt gegen die Polizei käme. Der Wasserwerfereinsatz war
somit unberechtigt.
Innenminister Glogowski begründete diesen später damit, daß es doch nicht
angehen könne, daß der Castor in drei Stunden nur 80 Meter voran kommt. Doch
da hatte er sich verrechnet. Denn nach dem Einsatz der Wasserkanonen ging es
noch langsamer voran. Der "unverhältnismäßige" Einsatz der Polizei (das
Gesetz schreibt vor, daß Polizeimaßnahmen dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen) weckte in vielen
Demonstrationsteilnehmern eine unglaubliche Wut, die sie dazu brachte, sich
umso verbissener wieder auf die Straße zu setzen und sich einzuhaken.
Verblüffend war für viele danach die Gewaltfreiheit, die von den
Sitzblockierern über die ganze Zeit bewahrt wurde. Während der neun Stunden,
die die Räumung dauerte, war nicht ein Stein oder eine Leuchtrakete geflogen.
Es war nicht einmal zu aufgebrachten Parolen gegen die Polizei gekommen.
Insgesamt brauchte der Castor vom Beginn der Räumung am Verladekran bis zur
Ankunft im Zwischenlager Gorleben 14 Stunden, doppelt solange wie beim
vorherigen Transport. Schon alleine am Dannenberger Verladebahnhof zählten
Rettungsdienste etwa 100 Verletzte Demonstranten, darunter 15 Schwerverletzte.
Während die Blockade hier von Seiten der Demonstrationsteilnehmer die ganze
Zeit über friedlich verlief, kam es an anderen Streckenabschnitten teilweise
zu "Ausschreitungen", bei denen sich einige der Atomkraftgegner durch
Polizeiübergriffe zum Steinewerfen provozieren ließen.
Doch der brutale Polizeieinsatz am Verladekran, bei dem neben "direkter
körperlicher Gewalt" auch Wasserwerfer und vereinzelt Knüppel zur Anwendung
kamen, zeigte ganz klar, von welcher Seite die Gewalt in Wirklichkeit
ausging; jedenfalls nicht von den vielen tausend Menschen, die sich bereits
Tage zuvor in friedlichen Aktionen "quer" stellten.
Umfragen ergaben, daß zwischen 70 und 80% der Bevölkerung, also der größte
Teil der Bundesbürger gegen den Castortransport sind. Trotzdem gibt es
Menschen, die den selbstlosen Einsatz der Demonstranten nicht zu würdigen
wissen. Sie sind der Meinung, man solle "die da oben" doch einfach machen
lassen. Ganz nach dem Motto "ich sehe nichts, ich höre nichts". Doch die
Demokratie, in der wir leben, kann nur funktionieren, wenn die Menschen ihre
Rechte auch wahrnehmen, und sich auch da einsetzen, wo sie Mitbestimmungsrechte
haben. Darum darf es einfach nicht sein, daß protestlos geduldet wird, wenn
per Allgemeinverfügung das Grundgesetz außer Kraft gesetzt wird. Die
Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, freie Meinungsäußerung und
Demonstrationsfreiheit werden vom "Rechtsstaat" einfach ignoriert. Wohin
sind wir in diesem Staat gekommen, wenn die Politiker, die das Volk
repräsentieren sollen, plötzlich mit Beschimpfungen wie "Chaoten" oder
"unappetitliches Pack" über Bundesbürger reden? Bundesinnenminister Kanther
meinte, der Staat dürfe sich dem Druck der Sraße nicht beugen. Daß aber
gerade dieser "Druck von unten" zur Entfaltung der Demokratie beiträgt,
davon will er nichts wissen. Die Bundesregierung meint scheinbar, daß sie,
vom Volk auf vier Jahre gewählt, in dieser Zeit tun und lassen darf, was sie
will, egal ob es zum Vor- oder Nachteil der Menschen ist. Diese Ansichtsweise
offenbart sich auch in der kürzlich gemachten Ankündigung, bis zur nächsten
Bundestagswahl (!) keine weiteren Castortransporte nach Gorleben
durchzuführen. Was danach geschehen soll, bleibt offen.
Falk Beyer
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