grünes blatt 1/2-96 - Tag X²:
Der Castor kommt!
Mittwoch, 8. Mai 1996, vier Uhr morgens.
Die ganze Nacht über fliegen Polizeihubschrauber über das Lager der
Castorgegner, regelmäßig rasen Konvois von Polizeifahrzeugen vorbei.
Über Lautsprecher werden die Demonstranten ständig über den Standort
des Castors informiert. Kurz nach vier heißt es dann "der Castor ist am
Bahnhof, geht ihm entgegen!" Über 5000 Menschen machen sich auf den Weg
zur Castorstrecke. Kurz vor dem Ziel wird der Zug der Castorgegner von
Blaulichtfahrzeugen überholt, und bald darauf stößt er auf die Absperrung
der Polizei und des BGS. Ein Polizist steht am anderen, mit Schild und
Knüppel.
Plötzlich gehen riesige Scheinwerfer, verteilt überall auf den Feldern und
Straßen, an und machen die dunkle Nacht taghell. Die Menschenmenge drückt
allmählich eine Delle in die Kette des BGS. Dann stehen die Demonstranten
plötzlich auf der Straße, die der Castor passieren muß. Große Strohballen
werden vom Feld geholt und angezündet. Dann kommen die Wasserwerfer und
schießen in die Menge. Kurzzeitig haben sie Erfolg. Doch dann drängen
immer mehr Menschen auf die Straße, setzen sich hin und haken sich ein.
Vermummte, die zu feige waren auf die Straße zu gehen werfen plötzlich
mit Steinen. Dabei treffen sie nicht nur in die BGS-Kommandos, sondern
auch die Demonstranten.
Jetzt rücken die Wasserwerfer wieder vor; der Strahl ist erst ganz
schwach, dann wird er immer stärker, bis seine Wucht groß genug ist,
einen Menschen umzuwerfen. Die Angst kommt plötzlich wieder; was
werden die BGSler mit uns machen, was wenn uns ein Stein trifft.
Die "Kämpfer für das Leben" stimmen ein Lied an, das allen Mut machen
soll. "...Trommle mein Herz für das Leben, ..."
Nun ist der BGS ganz nahe. Die Menschen werden hochgerissen. Erst
heißt es noch, "bitte, gehen Sie an den Rand, es wird hier gefährlich!"
Doch als die Blockierer klarstellen, "Wir gehen hier nicht weg, Ihr müßt
uns schon wegtragen!", droht man "dann müssen wir Gewalt anwenden." Die
Demonstranten werden geschnappt, von einem einem zum anderen gestoßen
und von der Straße geschmissen.
Doch die Castorgegner lassen sich nicht einschüchtern. Sie laufen
wieder nach vorne und setzen sich nochmals hin. So geht es dann
drei-, viermal, bis von vorne eine Polizeieinheit kommt. Jetzt
rennen die Demonstranten in den Wald und laufen auf Wald und Feldwegen
parallel zur Castorstrecke nebenher, um den Castor einzuholen. Dies
gelingt dann auch und die "Kämpfer für das Leben" begeben sich wieder
auf die Straße vor den Castor. Straßenschilder, Bretter, Äste, Zweige
und ganze Bäume werden aus dem Wald herbeigeholt, aufgestapelt und
angezündet. Plötzlich kommt ein BGS-Kommando angestürmt. Die
Demonstranten fliehen vor ihnen durch den Wald, die BGSler teilweise
schon im Rücken, auf ein Feld und verteilen sich.
In Gusborn treffen sich die Castorgegner wieder auf der Straße; es
werden wieder Bretter und Stämme, Holz, Mist und Ackergeräte von
einem Bauern geholt. Die Blockaden werden wieder angezündet. Dann kommen
ebenfalls Polizei und BGS mit Räumpanzern und Wasserwerfern.
Zehn Minuten passiert gar nichts, dann geht ein Lachen durch die Menge;
die Polizei hatte zwei Wasserwerfer vorfahren lassen, dahinter der
Räumpanzer. Die Blokkierenden konnten sich solange halten, bis plötzlich
das Wasser der Wasserwerfer alle war; der Räumpanzer kam an den zwei
Fahrzeugen nicht vorbei.
Hinter den tausenden Demonstranten hat sich ein BGS-Kommando mit schwarzen
Helmen aufgestellt. Auf einmal rennen die BGSler auf die Menge zu,
schwingen ihre Schlagstöcke und verprügeln wahllos alles, was in ihre
Reichweite kommt. Die Menschen, die auf die umliegenden Felder geflohen
sind, werden gnadenlos von den Schwarzhelmen verfolgt und
zusammengeschlagen. Selbst über Gartenzäune hinweg schlagen die Beamten
noch mal kräftig nach den Fliehenden.
Jetzt zieht der Castortransport weiter. Aber die Demonstranten geben nicht
auf. Nach dem Ort gibt es nochmals so heftigen Widerstand, daß der
Transport lange Zeit keinen Schritt vorwärts kommt.
Gegen 13:00 Uhr erreicht der Castor unter Buh Rufen und Pfiffen
Gorleben. Dort löste die Polizei eine letzte Blockade auf friedlichere
Weise auf, indem die Demonstranten von der Straße getragen wurden.
Insgesamt hat der Castor sechs bis sieben Stunden für die etwa 18 Kilometer
von Dannenberg nach Gorleben gebraucht.
Falk Beyer
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